Die folgenden Thesen wurden 2011 aus Anlaß der Kommunalwahlen in Hessen mit Blick auf die Kasseler Situation geschrieben.




THESEN ZUR KULTURPOLITIK


1
Eine Stadt bezieht ihre Attraktivität aus der Lebendigkeit ihrer Kultur.

2
Die hier lebenden Produzenten sind die Basis jeder kommunalen Kultur.

3
Die finanzielle und infrastrukturelle Förderung der Produzenten ist die Grundaufgabe der Kulturpolitik.

4
Die Förderung kontinuierlicher Arbeit schafft langfristig eine sichere Quantität und Qualität.

5
Nicht die sog. Kulturwirtschaft ermöglicht das kulturelle Leben, sondern die Produzenten und ihr Publikum.

6
Der Profit der Kulturwirtschaft bedeutet die Enteignung der Produzenten.
Die Produzenten bedienen die Mietforderungen, ihre Arbeit  legitimiert die Personalkosten der Ämter und Kulturhäuser, die Produzenten sichern die Einnahmen der Werbewirtschaft und eines Teils der Gastronomie, der Veranstaltungstechniker etc. ... und über all das wiederum Steuereinnahmen der Stadt. Und wenn alles bezahlt ist gehen viele Produzenten wieder mit leeren Taschen nach Hause.

7
Die Traditionen einer Stadt müssen immer im Hinblick auf die Interessen einer lebendigen Kultur betrachtet werden.

8
Die Ideologie vom Alleinstellungsmerkmal bezieht ihren Charme aus der unverhohlenen Logik des Tourismus. Dadurch wird für Touristen in Kassel ein Angebot geschaffen, das zugleich dem Aufbau einer attraktiven und lebendigen Stadt widerspricht. Adressat dieser Politik sind Touristen und das Touristengewerbe. Nur bedingt die Menschen hier.

9
Das führt zu einer Zombiekultur, in der die großen Toten der Vergangenheit ihr permanentes Stelldichein geniessen, der lebendige Rest sich aber bettelnd vor geschlossenen Rathaustüren trifft und‘Rettet Mich‘ schreit.

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Man muß lernen, daß die Attraktivität einer Stadt durch nichts so sehr gesteigert wird, wie durch die Faszination einer lebendigen Kulturszene. Kassel hat in dieser Hinsicht ein wichtiges Ziel verfehlt.

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Eine Überzahl von Großereignissen behindert entschieden den Aufbau einer lebendigen Kultur.

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Die Legitimation kostenintensiver Institutionen (z.B. Staatstheater) ist zu überprüfen und die inhaltliche Arbeit neu auszurichten. In die vertikale Struktur (wir geben-ihr nehmt) ist die horizontale einzugliedern (Arbeit mit und für...Produktionen in und mit Stadtteilen/Stadtteilgruppen).
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Dem Ausbau des musealen Kulturbereichs (Museen, Archive, Programme des Theaters...) muß gegengesteuert werden zugunsten einer Kultur zeitgenössischer Produzenten.
(z.B.: statt Szeemann-Archiv Finanzierung regelmäßiger Ausstellungen für Kasseler Künstler u.a. mehr: z.B. eine bessere Ausstattung der Bibliotheken mit wissenschaftlicher Literatur und/ oder Ausbau des skandalös unzureichenden Bestandes an Partituren zeitgenössischer Musik).

14
Es gilt, Inhalte und Ideen zur Diskussion zu stellen, nicht oberflächliche Konsumware.
Kulturpolitik muß sich jeder - auch der selbstverschuldeten - Verblödungspolitik entziehen.

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Kulturpolitiker und Verantwortliche der Verwaltung müssen immer einen genauen Einblick in die Aktivitäten der Kultur- und Kunstszene haben. Dies geht NICHT vom Schreibtisch aus.

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Quoten, Sponsoring, Zwang zu fragwürdigen Kooperationen: all das behindert eine lebendige Kultur
mehr als daß es ihr nützt.

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Der Separatismus der existierenden Institutionen muß aufgebrochen werden, damit Vernetzungen, Querverbindungen, arbeitsspezifische Synergien entstehen können.

18
Orte müssen geöffnet werden für die Bedürfnisse der Produzenten hier in der Stadt. Ausschliessliche Zugriffsrechte hochsubventionierter Einrichtungen auf ihre Spielorte müssen gelockert werden und dürfen nicht durch horrende Mieten künstlich blockiert werden (z.B. Südflügel Kulturbahnhof; Konzertsaal Musikakademie, TiF).

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Verwaltung und Kulturpolitik müssen transparenter werden, die undemokratische Entscheidungskultur abgeschafft.

20
Schaffung von handlungsfähigen Beratungs- und Entscheidungsgremien mit Produzenten,Politikern und Verwaltungsfachleuten, die nach dem Rotationsprinzip abgelöst werden.

21
Zur Vorbereitung, Durchführung und Begleitung dieser Gremien wäre eine PERMANENTE KULTURPOLITISCHE KONFERENZ einzurichten. Diese Konferenz könnte die Basis für eine demokratische und qualtitätsvolle Kultur in Kassel werden.

22
Das Steuerwesen muß im im Hinblick auf diese Aufgaben geändert werden (z.B. Gewerbesteuerreform).