wwwDas musikalische Reinheitsgebot und die Freie Improvisation



In den Auseinandersetzungen über  verschiedene Ästhetiken der Musik muss man im Nachgang zur Entwicklung der musikalischen Avantgarde und ihrer Theorien feststellen, daß sich bestimmte Extrementwürfe in Richtung einer reinen Musik  dadurch auszeichnen, daß sie jede semantische Inanspruchnahme und damit jeden Einfluss außermusikalischer Mittel, Ideen und Künste aufs Schärfste ablehnen. Aus solcherart Reinheitsgebot resultiert eine Vorstellung von Musik die man, bösartig, als reinrassige bezeichnen könnte. Mit allen erdenklichen, unguten Implikationen. Solcherart Reinrassigkeit weist nicht nur im Begriff bereits  faschistoide Einschlüsse auf. Fremd sind ihm jede Form der Annäherung oder gar Verbindung eines vorgeblich Inkom- mensurablen. Ja selbst das ohren- und augenscheinlich Unverbindbare scheint dem Reinheitsapostel Grund für jede Ablehnung einer Vermischung. Warum? Weil ihm die Konzentration aufs Wesentliche jeder diesbezüglich ver- mischten Kunst zu entgleiten scheint, keine ihr EIGENTLICHES mehr zu konstituieren wirklich in der Lage ist. Somit haben wir hier also ein Problem der Identität: Reinheit und Eigentliches, Abwehr von FREMDEM: kurzum eine Art musikalischer XENOPHOBIE, die, hätte der jeweilige Autor die Macht dazu, verboten gehört. Oder Schlimmeres. Hier fängt die Avantgarde an sich zirkelhaft am Ende mit jenen konservativen Ästhe- tiktheorien zu treffen, die sich auch schon immer für eine spezifische Reinheit der Kunst ins Zeug legten, wenn auch aus anderen Beweggründen  - erwähnt sei hier nur der Furor gegen die sog. Niggermusik.
Um also jener fatalen Vereigentlichung von Kunst, die nur ein andere Ausdruck für die Panzerung eines ästhetischen Wesens, ob als Rezipient oder Produzent, ist, zu entgehen, muss geradezu die Forderung gestellt werden: Musik darf schmutzig, hybrid sein, kann, darf und soll sich mit allen anderen Kunstformen und Medien zusammentun - kann darf und soll aber auch, wenns beliebt, allein stehen können, um so AUCH die Aufmerksamkeit aufs eigene Regelwerk zu lenken (hier noch gilt das EIGENE als Regulativ zum Verlust desselben, nicht als aus- schließende Kategorie im Sinne einer Unbeflecktheit durch ANDERES), um so also das musikalisch spezifische Denken nicht irgendwann als Verlust abzu- schreiben. Hierbei geht es um eine prekäre Balance - wieviel von wem wofür.


 






Nicht jedoch kann es angehen, angesichts der rasenden Entkunstung ästhetischer Wirklichkeiten in den Medien geradezu die  Rückkehr der Künste in die Verweigerung zu formulieren. Verweigert werden muss anderswo, Askese braucht ein politisches Konzept aktiver Eingriffe ins Politische und Gesellschaftliche. Der alte Avantgarde-Glaube, dies sei dem Material der fortschrittlichen Musik bereits eingeschrieben hat seine Zeit überlebt, nützt heute nichts mehr. Das Material selbst ging bis ans Ende seiner totalen Verfügbarkeit und Verweigerung (John Cages 4:33). Alles was danach kam war und ist die pathetische Inkraftsetzung eines ästhetischen Prinzips, das so tut, als ob es noch eine heile Welt der Kunst geben könnte - einer Kunst die unab- hängig von ihren Produzenten noch sinnvoll gedacht werden könnte. Aber solches existiert nicht mehr.
Was aber existiert ist die Inan- spruchnahme von Kunst als sozialer Wirklichkeit, als Raum der Gestaltung sozialer Prozesse zwischen Individuen , die mit unterschiedlichen Backgrounds und unterschiedlichsten Ästhetiken in die interpersonale und interkulturelle Ver- mittlung gegenseitig eintreten - und sich dort IHRES (was immer das sei) mitteilen. In diesem gesellschaftlich relevanten Prozess individueller An- dockung an andere Entwürfe von Kunst im realen, d.h. improvisatorischen Spiel- geschehen, liegt ein Stück jener Zukunft, das uns die Komponisten früherer Tage nur immer als unerfüllte vor Ohren gebracht haben. Im Material offenbart sich nicht mehr so ohne weiteres der Widerspruch zur Gesel- lschaft, vielmehr ist es die Pro- duktionsweise selbst die signalisiert, was als Anpassung und was für Widerstand zu gelten hat. Und hier verliert die Materialebene ihr Primat, wenngleich sie von Bedeutung bleibt: denn nicht das Wie allein kann darüber entscheiden ohne das WAS, ob eine Musik sich vor den herrschenden Verhältnisse so tief bückt, daß sie sich deren Bedingungen ohne mit der Wimper zu zucken unterwirft.
Improvisierte Musik kann gar nicht anders, als sich ästhetisch mit dem Gedanken der gegenseitigen Verschmutzung anzu- freunden. Nur dort, wo ein Herr und Meister über seine Komposition herrscht, kann es Reinheit geben, Homogenität. Dort aber , wo mehr als einer sich in den musikalischen Austausch, ins Gespräch begeben, liegt selbst unter den schärfsten Bedingungen einer gemeinsamen äs- thetischen Homogenität dennoch und logischerweise eine Hybridisierung der Strategien vor - da niemand telepathisch je voraussieht was geschehen wird, geht jede Konzeption homogener Zusammen- arbeit immer nur bis zu einem bestimmten Punkt, nie vollständig jedoch bis in die  Gleichheit der Absichten und Gedanken.






Weiter ließe sich behaupten, daß daraus die Negation des Versuches, solche Einheit herzustellen zu bemängeln sei, da dieser Versuch die ästhetischen Prämissen des Komponisten als Alleinschaffenden und seines Einheits- konzeptes tendentiell aufzusuchen scheint. Da aber die improvisatorische Ausein- andersetzung verschiedener Menschen gerade dies nicht kann, aufgrund der Produktionsweise auch nie gelingen wird, hieße es, der Technik Improvisation Gewalt antun, sie mit den ästhetischen Bedürfnissen von Komponisten und Kompositionshörern zu verbinden.
Improvisatorische Praxis ist immer diskursiv, immer multilingual, ihre Gram- matik immer multifunktional. Improvisation bleibt deshalb immer aus dem Königreich reinrassiger Identitätsästhetiken ausge- schlossen.
Und das ist gut so. Das Lob an Im- provisatoren: es hätte ja wie eine Komposition geklungen, könnte falsch verstanden sein. Unter den oben aus- geführten Bedingungen müsste man es wohl eher wie eine Kritik behandeln.

Daraus resultieren Fragen:
tendieren gewisse eurozentrische Formen der Improvisation, mit ihrer Ästhetik einer homogenen Gruppenideologie zu einer Identitätsfindung analog zur Komposition, möchte man also ein Ganzes aus einem Guss?
Sind solcherlei Konzepte, von der Impro- visation her gesehen, nicht Sackgasse, Tribute an europäische Traditionen, denen man doch entkommen wollte?
Dies darf nicht falsch verstanden werden: zur Ausarbeitung spezifisch neuer Ästhetiken braucht es immer einen ungefährdeten Raum des Ausprobierens. Jede Neuerung braucht ihre Nische, in der eine Entwicklung ungehindert vonstatten gehen kann. Aber es kann eben auch nur deren vorübergehender Zweck sein und nur zu diesem einen Ziel: sich über das Material der Arbeit und seiner Möglich- keiten klar zu werden. Alles andere, insbesondere die Überhöhung der eigenen Spielpraxis führt sofort zum restriktiven Pol ästhetischer Abgrenzungsstrategien - und damit zu einer Diskussion über Reinheit, wie sie dem Grundgedanken und der Praxis freier Improvisation widerspricht.

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